Inhalt
- Wie verbreitet sind Bedrohungen und Angriffe auf Flüchtlingshelfer*innen?
- Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer*innen sind kein ostdeutsches Problem!
- Einschätzung der lokalen Bedrohungslage
- MBTs: Beratung und praktische Tipps zur Prävention
- Was tun, wenn bereits etwas passiert ist oder eine konkrete Bedrohung vorliegt?
- Umgang mit Drohungen und Hetze auf Facebook und Co.
- Geflüchtete auf Hilfestrukturen aufmerksam machen
- Am besten jeden Fall dokumentieren
- Solidarität ist die beste Verteidigung!
Wie verbreitet sind Bedrohungen und Angriffe auf Flüchtlingshelfer*innen?
Auch wenn die Anzahl der (bekannt gewordenen) Angriffe gegen flüchtlingssolidarische Initiativen oder ehrenamtliche Helfer deutlich niedriger sind als noch vor einigen Jahren: Vor dem Hintergrund der nach wie vor polarisierten gesellschaftlichen Debatte und zahlreicher rechtsextremer und rechtspopulistischer Akteure, die von der „Flüchtlingskrise“ massiv profitiert haben, gibt es leider keinen Anlass zur Entwarnung.
Rassistisch motivierte Straftaten treffen viel öfter Geflüchtete als ihre Unterstützer*innen: 946 Straftaten gegen Asylsuchende und 25 gegen ihre Unterkünfte im Jahr 2022 zählt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke auf.
Die Dunkelziffer bei der statistischen Erfassung rassistischer bzw. rechtsmotivierter Straftaten dürfte hoch sein - viele Fälle werden nirgends gemeldet und auch dann, wenn sie zur Anzeige gebracht werden, sieht die Polizei nicht immer das den Taten zugrundeliegende Motiv.
Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer*innen sind kein ostdeutsches Problem!
Mit Sicherheit ist die konkrete Bedrohungslage von Ort zu Ort sehr verschieden. Allerdings wäre es sehr verfehlt, zu glauben, dass nur Flüchtlingshelfer*innen in Ostdeutschland mit rechten und rassistischen Bedrohungen rechnen müssten. Diese sehr detaillierte Kartendarstellung der Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle zeigt, dass Hetze und Angriffe gegen Geflüchtete im ganzen Bundesgebiet vorkommen.
Vor diesem Hintergrund ist zu empfehlen, dass Ehrenamtliche und insbesondere Hauptamtliche, die Ehrenamtliche betreuen, nicht einfach vorschnell darauf vertrauen, dass bei ihnen schon nichts passieren wird („Bei uns gibt es so etwas nicht“), sondern dass sie wachsam sind – freilich ohne in Panik zu verfallen, denn dann hätten die rassistischen Täter*innen schon gewonnen. Koordinator*innen und andere Hauptamtliche in der Flüchtlingsarbeit stehen insofern vor der nicht ganz leichten Aufgabe, Ehrenamtliche und Geflüchtete über mögliche Bedrohungen zu informieren, ohne sie dabei zu verunsichern. Im Folgenden geben wir Hinweise zum Thema und vor allem Tipps, wo man sich Hilfe holen kann.
Einschätzung der lokalen Bedrohungslage
Oft gehen die Taten von organisierten Rechtsextremen aus. Informationen über die lokale rechtsextreme Szene können daher hilfreich für eine Einschätzung der lokalen Bedrohungslage sein. Sie sind aber nicht der einzige Indikator, weil flüchtlingsfeindliche Taten immer wieder auch von rassistisch radikalisierten Menschen aus der Nachbarschaft ausgehen, die zuvor nicht als Rechtsextreme in Erscheinung traten. Ähnliches gilt für die Wahlergebnisse einer Gemeinde oder eines Stadtviertels: Sie können Aufschluss geben, wie verbreitet flüchtlingsfeindliche Ressentiments vor Ort sind. Aber Rassismus und Gewaltbereitschaft sind auch nicht nur bei Wähler*innen der einschlägig rechtsextremen oder rechtspopulistischen Parteien vorhanden.
Empfehlenswert ist es, sich präventiv qualifiziert zur Bedrohungslage vor Ort beraten zu lassen. Ansprechpartner hierfür sind die Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus (oft MBTs genannt). Sie können meist über lokale Akteure der rechtsextremen Szene aufklären und damit Hinweise geben, von wem Bedrohungen ausgehen könnten. Sinnvoll ist es in jedem Fall, über Codes, Medien und Begriffe der rechten Szene Bescheid zu wissen, damit man etwaige rechtsextreme Gefährder*innen schnell erkennt. Denn Rechtsextreme sehen heute oft anders aus als man gemeinhin denkt und tarnen sich gern als „besorgte Bürger“ – und in seltenen Fällen vielleicht gar als Ehrenamtliche, um etwa Zugang zu Einrichtungen zu erhalten.
Beratung und praktische Tipps zur Prävention
Die Mobilen Beratungsteams bieten nicht nur Informationen zum Thema Rechtsextremismus, sondern in der Regel auch viele praktische Tipps zur Prävention. Etwa: Was kann man im Vorfeld tun, damit das interkulturelle Straßenfest nicht plötzlich von pöbelnden Neonazis gesprengt werden kann? Wie kann man eine Bürger*innenversammlung zum Thema Geflüchtete planen, ohne dass man riskiert, sich von Rechtsextremen niederbrüllen zu lassen? Wie kann man vermeiden, dass Rechtsextremisten allzu leicht an private Adressen oder andere sensible Daten von Ehrenamtlichen oder Hauptamtlichen kommen?
Die Beratungsstruktur der „Mobilen Beratungen“ ist relativ flächendeckend. Der Bundesverband Mobile Beratung bietet eine Übersicht über die meisten Mobilen Beratungen auf Landesebene:
→ Bundesverband Mobile Beratung: Bundesweite Übersicht über Mobile Beratungsteams
Zum Thema sind auch mehrere Broschüren erschienen – etwa die Broschüre „Wachsam sein“ der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin zum Umgang mit rechten und rechtsextremen Einschüchterungsversuchen und Bedrohungen. Ebenso empfehlenswert ist die Broschüre „Was tun, damit's nicht brennt“:
Was tun, wenn bereits etwas passiert ist oder eine konkrete Bedrohung vorliegt?
Wer Opfer einer konkreten Bedrohung oder eines Übergriffs wird, kann sich professionelle Unterstützung einer unabhängigen und parteilichen Beratungsstelle holen. In allen Bundesländern gibt es Beratungsstellen für Menschen, die von rassistisch motivierten Übergriffen bedroht oder betroffen sind. Die Stellen sind unabhängig, arbeiten vertraulich (auf Wunsch anonym), mehrsprachig (notfalls mit Übersetzung) und kommen zum Wohnort der Ratsuchenden oder einem Ort ihrer Wahl.
Beratung ist in vieler Hinsicht empfehlenswert. Unter anderem deshalb, weil Opfer rassistisch oder rechtsmotivierter Straftaten bedauerlicherweise immer wieder davon berichten, dass sie sich von der Polizei nicht ernst genommen fühlten und weil ein Gang zur Polizei oft nicht ausreicht, um psychosoziale Folgen von Angriffen oder Bedrohungen zu mildern. Beratung kann sich auch deshalb lohnen, weil Opfer rassistischer Gewalt unter Umständen "Härteleistungen" erhalten können - eine Soforthilfe des Staates für Opfer extremistischer Übergriffe. In Berlin und Brandenburg können ausreisepflichtige Opfer rassistischer Gewalt unter Umständen ein Bleiberecht erhalten.
Eine Übersicht über die Beratungsangebote in den Bundesländern findet sich hier:
→ Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt
Der Verband der Beratungsstellen für Betroffener rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt haben einen Ratgeber für Betroffene, Angehörige und Zeug*innen erstellt. Diese ist in den folgenden Sprachen erschienen: Deutsch, Englisch, Romanes und Türkisch
Einige der Beratungsstellen haben zusammen eine sehr praktische und einfach formulierte „Toolbox gegen rechte Gewalt“ erstellt – eine Website, die Schritt für Schritt erklärt, was Betroffene von rechter Gewalt tun können:
Eine hilfreiche Broschüre für Betroffene von rechten Bedrohungen gibt es hier:
→ Ratgeber: Im Fokus von Neonazis. Eine Handreichung für Betroffene und Unterstützer_innen
Geflüchtete auf Hilfestrukturen aufmerksam machen
Dass es in allen Bundesländern Betroffenenberatungsstellen gibt, die wenn nötig aufsuchend vor Ort beraten, sollte auch Geflüchteten bekannt gemacht werden. Viele Geflüchtete machen Erfahrung mit rassistischen Anfeindungen und Übergriffen – oft in so großem Ausmaß, dass manche Geflüchtete den ihnen entgegenschlagenden Rassismus resigniert als Normalzustand annehmen. Es ist daher wichtig, darüber aufzuklären, dass es Hilfsstrukturen gegen rassistische Anfeindungen und Übergriffe gibt, und dass Geflüchtete auch ermutigt werden, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen.
→ VBRG: Unterstützung nach einem rassistischen Angriff - Ein Ratgeber für Geflüchtete in Einfacher Sprache
Ein mehrsprachig vorliegendes Video der RAA Sachsen Opferberatung und des Vereins Bon Courage kann helfen, Geflüchteten die Arbeit der Operberatungsstellen vertraut zu machen. Das Video schildert mehrere Fälle von KlientInnen der Opferberatungsstelle und erklärt, was man bei einem rassistischen Übergriff tun kann. Das Video gibt es auf Arabisch, Farsi/Dari, Urdu, Russisch, Tigrinisch und Deutsch.
→ Videos "Rassistische Gewalt - Was tun?" im Youtube-Channel von Bon Courage
Am besten jeden Fall dokumentieren
Auch bei einer subjektiv als relativ unbedeutend empfundenen Bedrohung oder einer anderen eventuell strafrechtlich relevanten Tat ist es empfehlenswert, den Fall im Austausch mit einer Beratungsstelle zu dokumentieren und eventuell auch zur Anzeige zu bringen – und zwar aus mehreren Gründen. Zum einen kann es von Vorteil sein, wenn der Fall aktenkundig wird – etwa falls sich später ähnliche Bedrohungen von gleicher Seite wiederholen.
Vor allem aber hilft die Dokumentation solcher Fälle, dass das Ausmaß rassistischer und rechter Straftaten statistisch erfasst wird und damit einer öffentlichen politischen Diskussion zugänglich gemacht wird. In Berlin wurde daher sogenannte Registerstellen eingerichtet, die „Dokumentationen von rassistisch, antisemitisch, lbgtiq*-feindlich, antiziganistisch, rechtsextrem, rechtspopulistisch und anderen diskriminierend motivierten Vorfällen“ sammeln. Anderswo übernehmen oft Beratungsstellen die Dokumentationstätigkeit.
Umgang mit Drohungen und Hetze auf Facebook und Co.
Wer Facebook-Seiten, Twitter-Accounts oder andere Social-Media-Kanäle einer flüchtlingssolidarischen Initiative betreut, ist schnell mit großen Mengen von eventuell straftrechtlich relevanten Kommentaren beschäftigt, etwa mit Beleidigungen, Bedrohungen, Gewaltaufrufen oder hetzerischen Aussagen. Hier gilt, dass entsprechende Kommentare schnell mit einem Screenshot (Wie man das rechtssicher macht, erklärt diese Broschüre) gesichert und dann gelöscht werden sollten. Idealerweise sollten sie bei Facebook, Twitter und co. gemeldet und zur Anzeige gebracht werden. Auch wenn die Erfolgsaussichten meist extrem gering sind, ist es wichtig, bei den Social-Media-Konzernen wie auch in den polizeilichen Statistiken dafür zu sorgen, dass die massive Hetze nicht so einfach ignoriert werden kann.
Die folgenden beiden Publikationen gehen auf diese Thematik ausführlicher ein und enthalten darüber hinausgehend auch Tipps, was Individuen tun können, wenn sie persönlich zur Zielscheibe von Bedrohungen im Internet werden:
→ Amadeu Antonio Stiftung: »Hetze gegen Flüchtlinge in sozialen Medien« - Handlungsempfehlungen
→ Flüchtlingsrat Thüringen e.V.: »Hate Speech: Erkennen - Reagieren – Anzeigen: Zum Umgang mit Hetze im Internet«
Die Meldestelle respect! nimmt Meldungen über Hass und Hetze im Internet entgegen. Sie prüft, ob die gemeldeten Inhalte strafbar sein könnten, meldet diese ggf. dem Betreiber des Plattforms und erstattet Anzeige in Fällen von Volksverhetzung.
→ Website der Meldestelle respect!
Solidarität ist die beste Verteidigung
Rechte Bedrohungen gegen Flüchtlingshelfer*innen zielen darauf, die Betroffenen einzuschüchtern, damit sie ihr Engagement auf geben. Die Tat gilt dabei aber in der Regel nicht nur der konkret betroffenen Einzelperson, sondern ihrem Umfeld – und letztlich allen Menschen, die sich in Deutschland für Geflüchtete und für eine offene und demokratische Gesellschaft einsetzen. Schon deshalb sollten Menschen, die zur Zielscheibe rassistischer Bedrohungen werden, unsere Solidarität erfahren.
Es ist daher sehr empfehlenswert, dass Bedrohungsfälle im jeweiligen Helferkreis zur Sprache gebracht werden, dass sich Teams von Initiativen oder Organisationen über ein gemeinsames Vorgehen abstimmen und das von Bedrohungen betroffene Initiativen sich breit zivilgesellschaftlich vernetzen und die ihnen widerfahrenen Fälle öffentlich machen.
Öffentlichkeit und Solidarität stärken die Opfer, regen zu Wachsamkeit an und verhindern, dass die Bedrohungen bagatellisiert oder verdrängt werden können (Stichwort: „So etwas gibt's bei uns nicht“). Wenn vor Ort und darüber hinaus möglichst viele Menschen an einem Strang ziehen und die konkret Betroffenen unterstützen, ist dies die beste Gegenwehr gegen rechte Einschüchterungsversuche.