Da unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Deutschland rechtlich nicht uneingeschränkt geschäftsfähig sind, benötigen sie eine*n Vormund*in. Hierfür kommen etwa die Amtsvormund*innen in Betracht, die vom Jugendamt gestellt werden. Daneben können auch Privatpersonen die Vormundschaft übernehmen, zum Beispiel Berufsvormund*innen, Vereinsvormund*innen oder auch Ehrenamtliche.
Wer sich entschließt, eine Vormundschaft zu übernehmen, sollte Bescheid wissen, was damit genau verbunden ist. Schließlich kann die Übernahme einer Vormundschaft auch gewisse Risiken bereithalten – sowohl für die werdenden Vormund*innen selbst als auch für die minderjährigen Geflüchteten. Denn eine Vormundschaft ist immer auch mit großer Verantwortung verbunden. Daher haben wir hier wichtige Informationen und Materialien bereitgestellt.
Wie kommt es zur Vormundschaft?
Reisen unbegleitete minderjährige Schutzsuchende nach Deutschland ein, werden sie zunächst vom nahegelegenen Jugendamt in Obhut genommen (sogenannte vorläufige Inobhutnahme) und untergebracht. Im Rahmen dessen wird auch ihr Alter festgestellt (sog. Altersfeststellung). In einem nächsten Schritt werden die unbegleiteten Minderjährigen im Rahmen eines bundesweiten Verteilverfahrens auf die einzelnen Bundesländer verteilt (sogenannte Verteilung). Sie werden dem im Zielbundesland zuständigen Jugendamt zugewiesen, das sich nun um die Unterbringung sowie das weitere Vorgehen kümmert (sogenannte Inobhutnahme). Zum weiteren Vorgehen gehört etwa neben der Klärung des Aufenthaltsstatus auch die Bestellung der Vormund*in. Die Vormundschaft ordnet jedoch letztlich das Familiengericht an, das zuvor das Ruhen der elterlichen Sorge anordnet und insbesondere die Eignung der infrage kommenden Vormund*innen überprüft. Die ausgewählte Vormund*in erhält dann eine sogenannte Bestallungsurkunde, mit der er*sie sich nach außen hin als gesetzliche Vertretung des Mündels ausweisen kann.
Formen der Vormundschaft
Es gibt verschiedene Arten der Vormundschaft. Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen der Amtsvormundschaft, der Berufsvormundschaft, der Vereinsvormundschaft sowie der ehrenamtlichen Vormundschaft. Keine Art der Vormundschaft stellt hingegen die Ergänzungspflegschaft dar.
Amtsvormundschaft: Bei einer Amtsvormundschaft überträgt das Familiengericht dem Jugendamt die Vormundschaft. Zuständig ist dann innerhalb des Jugendamts eine einzelne Fachkraft; Vormund selbst bleibt aber formal das Jugendamt.
Berufsvormundschaft: Die Vormundschaft kann aber auch auf Einzelpersonen übertragen werden, die dies entgeltlich als Beruf ausüben. Die Berufsvormund*innen müssen spezifisches Fachwissen vorweisen können.
Vereinsvormundschaft: Darüber hinaus kommt auch eine Vereinsvormundschaft in Betracht. Dies meint, dass sich ein Verein bereit erklärt, eine Vormundschaft zu übernehmen. Auch für unbegleitete Minderjährige gibt es einige Vereine in Deutschland, die auf diese Art und Weise Vormundschaften übernehmen.
Ehrenamtliche Vormundschaft: Schließlich können auch Ehrenamtliche eine Vormundschaft übernehmen. Diese Art der Vormundschaft ist vorrangig vor allen anderen aufgeführten Formen der Vormundschaft. Das heißt, sobald eine geeignete ehrenamtliche Vormund*in zur Verfügung steht, hat das Familiengericht diese auszuwählen. Ist dies nicht der Fall, sind die restlichen Formen gleichrangig. In der Praxis wird jedoch (zumindest vorläufig) meist eine Amtsvormundschaft durch das Jugendamt bestellt. Zu beachten ist, dass ehrenamtliche Vormund*innen ihre Mündel nicht finanziell unterstützen müssen und diese in der Regel auch nicht bei ihnen zuhause wohnen. Die Vormund*innen erhalten keine Vergütung für die Übernahme der Vormundschaft. Sie können allerdings Aufwendungen ersetzt bekommen, die im Rahmen der Ausübung der Vormundschaft anfallen, wie zum Beispiel Fahrt- oder Dolmetscherkosten.
Wie werde ich ehrenamtliche*r Vormund*in?
Die Vormundschaft wird vom Familiengericht angeordnet, das die Eignung von potentiellen Vormund*innen überprüft. In den einzelnen Bundesländern bzw. Städten haben sich Strukturen herausgebildet, wonach Verbände oder Vereine in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt die Gewinnung, die Schulung und die Vermittlung ehrenamtlicher Vormund*innen übernehmen. Hierhin können sich Interessierte wenden.
In Berlin ist dies zum Beispiel das Netzwerk Vormundschaft sowie das Netzwerk Einzelvormundschaften "akinda", in Bremen etwa Fluchtraum Bremen oder ProCuraKids, in München H-Team, in Schlesig-Holstein lifeline sowie in Köln Auf Achse oder der Sozialdienst Katholischer Frauen. Sollten Sie in Ihrer Umgebung keinen Verein oder eine Organisation zur Vermittlung und Qualifizierung ehrenamtlicher Vormundschaften finden, melden Sie sich am besten beim Jugendamt in Ihrer Nähe und fragen Sie dort nach Informationen.
Antworten auf häufige Fragen zur ehrenamtlichen Vormundschaft hat der Cura Vormundschaftsverein zusammengestellt:
→ Cura Vormundschaftsverein, Häufig gestellte Fragen zur Vormundschaft
Rechte und Pflichten von Vormund*innen
Wer eine Vormundschaft übernimmt, der hat die sogenannte Personensorge inne und vertritt den oder die Minderjährige gesetzlich. Das bedeutet im Falle von unbegleiteten minderjährigen Schutzsuchenden, dass Vormund*innen etwa für die Sicherung des Aufenthaltsstatus, insbesondere die Vertretung im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren oder auch die Unterstützung bei der Familienzusammenführung verantwortlich sind. Auch fällt es in ihren Aufgabenbereich, das Mündel beim Erlernen der deutschen Sprache und der schulischen und beruflichen Bildung zu unterstützen. Daneben haben sie sich auch um die Unterbringung, die medizinische Versorgung sowie die Vermögenssorge zu kümmern, also etwa ein Konto zu eröffnen oder Sozialleistungen zu beantragen. Ein zentraler Bestandteil ist zudem, dass die Vormund*innen den Kindeswillen auch gegenüber dem Jugendamt vertritt. Dies kann zum Beispiel relevant werden im Rahmen der Erstellung des sogenannten Hilfeplans, in dem bei Bedarf die Inanspruchnahme von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe festgelegt wird.
Hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen und des genauen Umfangs der Vormundschaft bietet der Berliner Amtsrichter Dr. Stephen Hammer eine ausführliche Zusammenfassung. Teilweise betreffen Informationen die Rechtslage in Berlin, die meisten Infos sind aber bundeslandübergreifend beschrieben.
→ Stephan Hammer, Vormundschaft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Vormund*innen haben also weitreichende und anspruchsvolle Aufgaben. Bei jeder Entscheidung muss immer das Kindeswohl im Mittelpunkt stehen sowie die Partizipation des Mündels an Entscheidungen sichergestellt werden. Denn dessen Wohl steht an erster Stelle. Die Vormund*innen müssen regelmäßigen persönlichen Kontakt zu ihren Mündeln halten und diese in der Regel einmal im Monat auch besuchen. Um ihren vielseitigen Aufgaben gerecht werden zu können, müssen Vormund*innen deshalb in der Regel mit dem Jugendamt, Jugendhilfeeinrichtungen, Schulen, Ärzt*innen oder Therapeut*innen, der Ausländerbehörde bzw. dem BAMF, Rechtsanwält*innen, dem Familiengericht und ggf. Beratungsstellen kooperieren.
Materialien und Arbeitshilfen für Vormund*innen
Zwar übernehmen Vormund*innen nicht alle Aufgaben alleine, sondern sie können und sollten für bestimmte Themen die Hilfe des Jugendamts, Beratungsstellen oder Rechtsanwält*innen in Anspruch nehmen. Für den Einstieg oder die Unterstützung gibt es hilfreiche Materialien. Grundlegende Informationen für ehrenamtliche Vormund*innen zum Asylverfahren finden sich in einer Handreichung des UNHCR und des Informationsverbunds Asyl & Migration:
Darüber hinaus haben der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) und der Flüchtlingsrat Thüringen mehrere Arbeitshilfen für verschiedene Aspekte rund um das Asylverfahren herausgegeben, die sich Vormund*innen und Begleitpersonen richten. Eine Übersicht der Materialien findet sich hier:
→ Arbeitshilfen für die Begleitung unbegleiteter Minderjähriger im Asyl- und Klageverfahren
Das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF), in dem alle deutschen Jugendämter zusammengeschlossen sind, hat für Vormünd*innen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zahlreiche Materialien zum Jugendhilferecht, zu Asylverfahren und zum Aufenthaltsrecht zusammengestellt:
Vielfältige Informationen rund um das Thema Vormundschaft bietet auch der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auf seiner Website:
Informationen zu themenspezifischen Fragen wie Aufenthaltssicherung oder Bildung und Arbeit finden sich auch auf den weiteren Unterseiten von Wissen kompakt.
Wann endet die Vormundschaft? – und wie geht es dann weiter?
Die Vormundschaft endet seit der Reform des Vormundschaftsrechts, die Anfang 2023 in Kraft getreten ist, stets mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Zuvor konnte sich die Vormundschaft in jenen Konstellationen über den 18. Geburtstag hinaus erstrecken, in denen nach dem Recht des Heimatlandes der betroffenen Person die Minderjährigkeit erst mit 21 Jahren endet. Nunmehr richten sich alle Regelungen der Vormundschaft allein danach, wo der junge Mensch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat - im Falle eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland also nach deutschem Recht (vgl. Artikel 24 EGBGB).
Gerade der Eintritt Volljährigkeit und damit das nahende Ende der Kinder- und Jugendhilfe nach dem Sozialgesetzbuch (SGB VIII) kann für die Betroffenen ein einschneidendes Erlebnis darstellen, da mit diesem Zeitpunkt viele Unterstützungsleistungen wegfallen und ein großer bürokratischer Aufwand entstehen kann. Zu beachten ist, dass auch junge Volljährige in der Regel bis zum 21. Lebensjahr noch die Leistungen der Kinder-und Jugendhilfe in Anspruch nehmen können und im Einzelfall auch noch darüber hinaus.
Informationen und Materialien zum Übergang in die Volljährigkeit gibt es hier:
→ 18 und dann? Zur Unterstützung junger Geflüchteter mit Beginn der Volljährigkeit
Hinweis: Dieser Beitrag ist nicht abschließend und soll lediglich einen ersten Überblick zum Thema bieten. Falls sich im Rahmen der Betreuung eine Mündels konkrete Fragen oder Probleme stellen, sollte Kontakt zum Jugendamt, einer Beratungsstelle oder einer Rechtsanwält*in aufgenommen werden.